NWT-Fahrt 2019

Von Gravitationswellen, Fusionsreaktoren und biopharmazeutisch produzierten Medikamenten

Text und Bilder von Albert Pfänder / Text zu Boehringer Ingelheim: Anja Beuchle
Für die neue Website abgeändert und gekürzt von Bil

Die Exkursion der Klassenstufe 10 fand am Mittwoch 03. April 2019 und Donnerstag 04. April 2019 statt.
Besucht wurden das Pharma-Unternehmen Boehringer Ingelheim in Biberach a. d. R., das Max-Planck-Institutes für Plasmaphysik  und das Max-Planck-Institut für Astrophysik in München-Garching.

Besuch beim Pharma-Unternehmen Boehringer Ingelheim in Biberach a.d.R.

Das Pharmaunternehmen Boehringer Ingelheim ist eine der Firmen, die sich noch ausschließlich in Familienbesitz befindet. Das Unternehmen wurde 1885 von A. Boehringer in Ingelheim gegründet und befasst sich mit dem Entwickeln und Herstellen von Arzneimitteln für Tiere und Menschen. Die rezeptfrei zu erhaltenden Medikamente (Generika) Thomapyrin und Buscopan sind wahrscheinlich vielen Menschen ein Begriff. Diesen Zweig hat Boehringer Ingelheim allerdings inzwischen gegen den Sektor „Tierpharmazeutika“ eingetauscht. Bei der Erforschung und Entwicklung von Medikamenten für Menschen und Tiere  konzentriert sich Böhringer auf die vier Bereiche Immunologie und Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die  Krebsforschung und die Erkrankungen des zentralen Nervensystems.

Weltweit arbeiten fast 50 000 Mitarbeiter für Boehringer, in Biberach sind es immerhin mehrere Tausend. Produktionsstätten gibt es unter anderem in den USA, in Italien und Spanien. In Biberach werden vor allem Medikamente auf biotechnologischer Basis, d. h. unter Einsatz von Lebend-Organismen, entwickelt. Schon 1895 stellte man beispielsweise mit Hilfe von Bakterien größere Mengen an Milchsäure her.

Ein Rundgang führte uns über das Firmengelände und ins Besucherzentrum, wo die Schülergruppe unterschiedliche Ausstellungsgegenstände zum Thema Arzneimittelproduktion und auch Informationen über die Geschichte der Firma erwarteten. Ein Besuch der Produktion war gerade wegen des Einsatzes von Lebend-Organismen leider nicht möglich.

Die Schüler/innen der Klassenstufe 10 mit Frau Beuhle vor einem Gebäude des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim in Biberach a.d.R.
Besuch des Max-Planck-Institutes für Plasmaphysik in München-Garching
Die Gerlinger Schüler/innen vor einem Bild der Fusionstestanlage Tokamak ASDEX upgrade im Besucherzentrum des IPP in Garching.

Erstes Ziel am Donnerstag war das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP). Hier wird seit den 60er-Jahren an der Kernfusion geforscht. Dabei möchten die Physiker das “Feuer der Sonne” auf die Erde holen: in einer Brennkammer, in der die Fusions-Brennstoffe Tritium und Deuterium bei 100 Millionen Grad Kelvin durch entsprechend geformte Magnetfelder eingeschlossen sind, sollen diese zu Helium verschmelzen (fusionieren) und dabei erhebliche Mengen an Energie freisetzen.

Über die Grundlagen der Kernfusion und deren mögliche technische Realisierung erhielten die Gerlinger Besucher/innen zunächst einen Vortrag von einem jungen Physiker, der am IPP gerade an seiner Promotion arbeitet:

Um das Fusionsplasma (bei den hohen Temperaturen liegen die Kerne der Atome und die Elektronen separat vor; diesen Zustand nennt man Plasma) am „Brennen“ zu halten, muss der Brennstoff über genügend lange Zeit bei genügend hoher Teilchendichte auf den geforderten hohen Temperaturen gehalten werden. Das stellt hohe Anforderungen an die Materialien der Brennkammer, an die räumliche (und zeitliche) Struktur und Stärke der Magnetfelder, an die verschiedenen Heizungsmethoden (ohmsche Heizung, Neutralteilcheninjektion, Mikrowellenheizung) für das Plasma und an die Steuerung aller Prozesse.

An unserem Besuchstag wurde am dort aufgebauten Großexperiment ASDEX upgrade gerade experimentell gearbeitet. Wenn die Anlage in Betrieb ist (jährlich werden etwa 1000 Experimente durchgeführt), kann die Experimentierhalle wegen der dort auftretenden Strahlung nicht betreten werden. Daher erhielten wir im Besucherzentrum eine Einführung in den Aufbau der Anlage und deren Arbeitsweise. Hier gibt es ein wandgroßes Foto von ASDEX und Exponate früherer Anlagen sowie Modelle der beiden aktuellen Fusionsreaktortypen (Tokamak und Stellarator).

Die Garchinger Kernfusions-Forschungsanlage arbeitet nach dem Prinzip eines Tokamak-Reaktors (an der Außenstelle in Greifswald wird an einem Stellarator geforscht). Bei dieser speziellen Form eines Fusionsreaktors werden zwei Magnetfelder erzeugt, die sich zum gewünschten Gesamtmagnetfeld überlagern; das eine Feld entsteht mit Hilfe großer Spulen, durch die beträchtliche Ströme fließen; das zweite entsteht dadurch, dass man im (elektrisch gut leitenden) Plasma selbst einen Strom induziert. Hier wirken äußere (Primär-)Spulen und die eine „Windung“ des Plasmas selbst (Sekundärspule) zusammen wie ein Transformator. Bekanntlich wird in der Sekundärspule nur dann ein Strom induziert, wenn sich das durch die Primärspule erzeugte Magnetfeld ändert. Das wird durch einen kontinuierlich ansteigenden Strom gewährleistet.

Da die Stromstärke aber nicht auf beliebige Werte anwachsen kann, ist ein Tokamak grundsätzlich immer nur gepulst betreibbar, d. h. wenn die Maximalstromstärke erreicht ist, endet das Experiment. Ein solcher Vorgang dauert in Garching ca. 10 Sekunden. Der für die Spulen benötigte Strom stammt von einem Schwungradgenerator. Nach einem solchen Vorgang („Schuss“ genannt), muss der Rotationskörper des Schwungradgenerators erst wieder auf die Ausgangsdrehzahl (ca. 1600 mal pro Minute) gebracht werden. Würden die Garchinger Physiker den Strom für einen „Schuss“ dem normalen Stromnetz entnehmen, würden wohl im halben Stadtgebiet Münchens die Lichter ausgehen; es werden nämlich kurzfristig ca. 450 MW Leistung benötigt.

Der Garchinger Schwungradgenerator besteht hauptsächlich aus einem Metallzylinder mit 220 Tonnen Masse und ca. 3 Meter Durchmesser. Dieser wird von einem starken Elektromotor (im Megawatt-Bereich) auf die Nenndrehzahl gebracht. Der äußere Umfang des Zylinders bewegt sich dann mit annähernder Schallgeschwindigkeit. Der rotierende Zylinder treibt dann einen Generator, der die für die Experimente nötige elektrische Leistung abgibt. Dabei wird das Schwungrad auf ca. 1200 Umdrehungen pro Minute abgebremst. Der Schwungradgenerator ist eine Sonderanfertigung, die es so nur einmal gibt. Und da er die Grundlage für die Energieversorgung des ASDEX darstellt, wird er sorgsam gehegt und gepflegt und in regelmäßigen Abständen vollständig auseinandergenommen und gewartet.

Nach dem Besuch am IPP hatten die Gerlinger Schüler/innen alle Hunger bekommen. Den konnte die Mensa am nahe gelegenen Institut für Mathematik und Informatik der Technischen Universität München stillen.

Besuch des Max-Planck-Institutes für Astrophysik in München-Garching

Nach der Mittagspause, die durch sportliche Betätigung an den Parabelrutschen im Atrium des Institutsgebäudes aufgelockert wurde, machten sich die Schüler/innen auf einen kurzen Fußmarsch zum benachbarten Max-Planck-Institut für Astrophysik (MPA).

Hier erhielten sie von einem Doktoranden im „aufblasbaren“ Planetarium einen Vortrag über die Sternentwicklung sowie über die Entwicklung des Universums insgesamt ab dem Urknall. Das Mini-Planetarium ist in einem Zelt mit halbkugelförmigem Dach untergebracht. Durch Einblasen von Luft wird das Gebilde stabilisiert; die Schüler/innen sitzen gemütlich auf dem Boden auf Kissen entlang der Außenwand des kreisförmigen Zeltes und können so bequem die Projektion an die Kugelkalotte des Zeltdaches beobachten (Spaßfaktor: hoch!).

Auf ihrer Website schreibt das MPA dazu (Zitat):
In unserem Planetariumszelt nehmen wir Sie mit auf eine Reise vom Himmel über München bis zurück an den Anfang des Universums. Besuchen Sie virtuell unsere Nachbarplaneten und beobachten Sie unsere Sonne, als stünden Sie direkt davor. Erfahren Sie spannende Details aus dem Leben eines Sterns, von seiner Geburt bis zu seinem Tod in einer hellen und explosiven Supernova. Reisen Sie mit uns noch viel weiter – hinaus aus unserer Milchstraße zu fernen Galaxien und zu den Ursprüngen des Universums.
Die Vorstellung wurde von unseren Wissenschaftlern selbst erstellt, um die Forschung am Institut auf eine einzigartige Weise darzustellen und wird laufend aktualisiert. Unsere Wissenschaftler präsentieren die Show live, so dass Sie direkt während der Vorstellung und interaktiv Fragen stellen können. Außerdem kann Länge und Niveau an die Altergruppe und das Vorwissen der Besuchergruppe angepasst werden (besonders Schulklassen).

Parabelrutschen im Institut für Mathematik und Informatik der Technischen Universität München (TUM)

Unser „Reiseführer“ durch das Leben des Universums berichtete auch von seiner eigenen Arbeit. Dabei geht es um Strukturbildungsprozesse im All. Wie man aus Messungen der so genannten Mikrowellen-Hintergrundstrahlung des Weltalls schließen kann, ist die Verteilung dieser Strahlung nicht homogen, sondern weist Fluktuationen auf. Daraus kann man Rückschlüsse auf die Vorgänge kurz nach dem Urknall ziehen. Mit Hilfe von Computersimulationen an Höchstleistungsrechnern haben die Garchinger Forscher netzartige Strukturen in der Galaxienanordnung errechnet, wie man sie tatsächlich im Universum beobachten kann.

Auf der Website des Institutes kann man dazu lesen (Zitat):
Die Wissenschaftler am MPA sind in allen Aspekten solcher Simulationen aktiv, sie entwickeln numerische Algorithmen, wenden diese auf den größten verfügbaren Hochleistungsrechnern an und benutzen die Ergebnisse, um Beobachtungsdaten von Galaxien, Galaxienhaufen und großräumigen Strukturen auszuwerten. Sie versuchen zu verstehen, wie sich die Eigenschaften der dunklen Materie und dunklen Energie in der nicht-linearen Struktur von Galaxien und deren dunkler Materie widerspiegelt. Außerdem entwickeln sie Modelle astrophysikalischer Prozesse für Strahlung, Chemie und Dynamik, die die Galaxien formen und deren Wechselwirkungen mit dem intergalaktischem Material, das sie umgibt, steuern.

Nach dieser kurzweiligen und technisch gut gemachten Planetariums-Show durften die Gerlinger Schüler/innen noch einen Vortrag von Dr. Ewald Müller, einem (mittlerweile pensionierten) Mitarbeiter des Institutes zu den Gravitationswellen hören.

Die Präsentation war ein brilliant gemachter Überblick über die Theorie, den Nachweis und die Anwendungen der Messung von Gravitationswellen. Obwohl das Niveau des Vortrages populärwissenschaftliche Grenzen deutlich in Richtung Fachvortrag überschritt, konnten die Schüler/innen die Inhalte aufgrund des didaktischen Geschickes des Vortragenden und der Begeisterung für die Thematik, die man aus seiner Rede hervorsprühen sah, gut nachvollziehen. Mehr als eine Stunde lang folgten die Zehntklässler/innen mucksmäuschenstill und konzentriert den Ausführungen.

Die Schülergruppe lauscht gebannt dem brillianten Votrag von Dr. Ewald Müller zur Theorie, der Messung und der Anwendung von Gravitationswellen.

Ausgangspunkt der Präsentation war die Allgemeine Relativitätstheorie von Albert Einstein 1915/1916, in welcher dieser die Existenz von Gravitationswellen theoretisch vorhergesagt hatte. Einstein ging davon aus, dass es eine „instantane Fernwirkung“ der Gravitatationskräfte, wie sie in Newton’s Theorie enthalten ist, nicht geben kann. Einstein ersetzte die Kraftwirkung der Gravitation durch die Deformation der vierdimensionalen Raum-Zeit, wie sie sich mit Hilfe der Riemannschen Geometrie beschreiben lässt.

So, wie die Schwingung eines elektrischen Dipols zur Entstehung elektromagnetischer Wellen führt (das geschieht in jeder Sendeantenne, etwa im Smartphone), entstehen Gravitationswellen durch Schwingungen der Raumzeit. Damit die Wellen aber messbare Amplituden erhalten, müssen gewaltige Massen gewaltige Beschleunigungen erfahren, um Gravitationswellen zu produzieren. Auch genügt es nicht, wenn die Schwingungen linear sind wie beim elektromagnetischen Dipol: hier muss eine Quadrupol-Geometrie vorliegen. Das ist z. B. der Fall, wenn zwei Neutronensterne um den gemeinsamen Schwerpunkt kreisen. Wenn diese sich durch ihre Anziehung (die Deformation der Raumzeit) immer näher kommen, wächst die Frequenz der Kreisbewegung und wenn sie schließlich aufeinander stürzen, entsteht ein Gravitationswellenmuster mit einer charakteristischen Form (Zunahme der Frequenz und der Amplitude).

Ein solches Signal konnte 2014 mit entsprechenden Messapparaturen erstmals gemessen werden; 2016 wurden die Messergebnisse (nach zweijähriger Prüfung!) schließlich veröffentlicht und bildeten eine wissenschaftliche Sensation, was nicht nur in der Fachwelt, sondern auch den populären Medien große (Aufmerksamkeits-)Wellen schlug…

Die Nachweisgeräte für Gravitationswellen sind große Interferometer nach dem Prinzip des Michelson-Interferometers. Dabei erzeugt ein starker (!!) LASER Licht, welches an einem halbdurchlässigen Spiegel in zwei Teilstrahlen aufgespalten wird. Diese beiden Teilstrahlen bewegen sind in jeweils bis zu 3 km langen evakuierten Röhren orthogonal zueinander auf Spiegel zu. Dort werden sie zurückgeworfen; wenn sie wieder nahe des Ausgangspunktes zusammentreffen, kommt es zur Überlagerung (Interferenz). Trifft dabei ein „Wellenberg“ der einen Welle auf einen eben solchen der anderen, erhält man eine Verstärkung der Welle (konstruktive Interferenz), im Fall, dass sich Wellenberg der einen mit Wellental der anderen welle überlagern zu einer Auslöschung (destruktive Interferenz). Man kann nun die beiden Teilwege der Teilstrahlen so justieren, dass gerade Letzteres der Fall ist; wäre der eine Weg nur eine halbe Wellenlänge (bei dem benutzten Licht etwa 300 Milliardstel Meter) länger, so kommt es nicht mehr zur Auslöschung, sondern zur Verstärkung: Man kann also die Weglängen der Lichtsignale in den beiden Interferometer-Armen sehr genau vermessen.

Erzeugt nun die Verschmelzung zweier Neutronensterne (oder auch eine Supernova-Explosion) ein Gravitationswellensignal, so schwingt die Raumzeit und damit verlängern und verkürzen sich auch die Interferometerarme ein bisschen. Allerdings nicht sehr: auf die Entfernung Erde-Sonne bezogen macht die Längenänderung gerade mal den Durchmesser des kleinsten Atomes (eines Wasserstoffatomes) aus.

Die in den USA, in Italien, Japan und Russland aufgebauten Interferometer können aber solche Längenänderungen aus dem Rauschen durch Umgebungseinflüsse herausfiltern. Wenn zwei Interferometer zur selben Zeit dasselbe Gravitationswellensignal erhalten (Koinzidenzmessung), kann man davon ausgehen, dass es keine Störung war, sondern tatsächlich ein aus dem Universum stammendes Signal. Die Interferometer in den USA (LIGO in Hanford und Livingston) sind so empfindlich, dass die Massenverschiebungen durch die an die Atlantikküste brandenden Wellen oder den in der Wüste vom Winde verwehten Busch ein Signal erzeugen.
Mit dem Nachweis / der Messung von Gravitationswellen kann man Ereignisse nachweisen, die mit keiner anderen astronomischen Beobachtungsmethode zugänglich sind. Die Gravitationswellendetektoren erschließen also eine ganz neue Astronomie.

Die Teilnehmer/innen der NwT-Erkundungsfahrt hatten Herrn Müllers Vortrag so gut zugehört, dass es im Anschluss daran sogar einige sehr tiefgehende Fragen aus dem Publikum gab und im Anschluss an unseren Besuch bei der Fahrt im Bus nach Gerlingen noch über das Gehörte diskutiert wurde.
Die Heimfahrt am späten Donnerstagnachmittag gestaltete sich staulos und damit schmerzlos und so kehrten die NwT-Schüler/innen gegen 19 h wohlbehalten und um einige Eindrücke und Kenntnisse reicher nach Gerlingen zurück.

Nachwort

Bereits zum siebten Mal brachen am Donnerstagmorgen 22 Schüler/innen zu ihrer so genannten „NwT-Erkundungsfahrt“ auf.  In zwei aufeinanderfolgenden Tagen werden dabei regelmäßig Forschungseinrichtungen, Industriebetriebe, Labore oder Rechenzentren besucht. Teilnehmen können an der Veranstaltung die Schüler/innen der Jahrgangsstufe 10, die sich bei der Profilwahl nicht für die dritte Fremdsprache (an unserer Schule Spanisch), sondern für das Fach NwT (Naturwissenschaft und Technik) entschieden haben.

Die Veranstaltungsreihe ins Leben gerufen haben die beiden Autoren dieses Berichtes: Anja Beuchle, Fachvorsitzende des Faches Chemie und Albert Pfänder, der für die naturwissenschaftlichen Fächer zuständige Abteilungsleiter der Schule.